Nicaragua Farm Tour 2024 – Part 2

Der Nicaragua Farmtrip an dem ich im Februar 2024 teilnehmen durfte, lässt sich grob in zwei Teile unterteilen. Nämlich den Aufenthalt in der Reserva El Jaguar, wo wir die ersten drei Tage unserer Tour verbrachten und den zweiten Teil, der in und um Matagalpa stattfand. Wer es noch nicht getan hat, sollte sich den ersten Beitrag meines Erfahrungsberichts durchlesen, um einen Gesamteindruck zu bekommen.

Mein letzter Beitrag endete mit dem Abschied von der Reserva El Jaguar. Es war ein unglaubliches Erlebnis im Nebelwald Nicaraguas zu sein und hautnah am Alltag der Kaffeebauern und -bäuerinnen teilhaben zu dürfen. Doch der zweite Block dieser Reise, der nun vor uns lag, sollte auf seine Weise nicht weniger beeindruckend sein. Hier ging es vor allem darum, den Weg des Rohkaffees zu verfolgen, also auch den nächsten Schritt in der Handelskette. Was passiert nach der Ernte? Wie wird der Kaffee weiterverarbeitet? Welche Qualitätsunterschiede gibt es und wie werden sie kontrolliert?

Hola Matagalpa!

Um diesen und vielen weiteren Fragen nachzugehen, haben wir uns in einem Hotel in Matagalpa einquartiert.

Der Verwaltungsbezirk (Departamento) Matagalpa ist wirtschaftlich gesehen die zweitstärkste Region in Nicaragua und weist mit knapp 500.000 Einwohnern eine hohe Bevölkerungsdichte auf. Die ökonomische Stärke beruht darauf, dass Matagalpa der wichtigste und größte Umschlagplatz für den Rohkaffeehandel in Nicaragua ist. Begünstigt wird dies unter anderem durch die klimatischen Bedingungen vor Ort, da wir hier einen Trockenkorridor haben. Ideal also für die Weiterverarbeitung des Kaffees, der nach der Ernte getrocknet werden muss, um exportfähig zu sein. Genau aus diesem Grund gibt es in Matagalpa eine Vielzahl von kleinen und großen Aufbereitungsstationen und Exporteuren.

Eine solche Aufbereitungstation sollte auch unser erstes Ziel sein. Eigentlich ist dieses wirtschaftliche Zentrum nur rund zwei Stunden von der Reserva El Jaguar entfernt, doch der Unterschied könnte kaum gößer sein. Während wir auf der Farm vom Grün des Nebelwaldes und den Geräuschen tropischer Vögel umgeben waren, ist Matagalpa laut, heiß, chaotisch und bunt. Hier pulsiert das Leben und der Handel.

Sajonia Estate Coffee – Aufbereitung als nächster Schritt in der Handelskette

Gruppenfoto Funky Fermentation Tour 2024

Nach diesen ersten Eindrücken und einer teilweise holprigen Fahrt, sind wir bei Sajonia Estate Coffee angekommen. Ein Exporteur und eine Aufbereitungsstation für Rohkaffee, die sich auf den Specialty Bereich konzentriert. Was bedeutet das genau? Hierher bringen die Bauern und Bäuerinnen aus der Region ihre Ernte und können sie entweder direkt verkaufen oder bei Sajonia weiterverarbeiten lassen. Darüber hinaus hilft die Zusammenarbeit mit Sajonia den Produzierenden ihre Ware zu exportieren, da ihnen in der Regel der Zugang und die Beziehungen zum Markt und zu Importeuren fehlen.

Bei unserer Ankunft wurden wir von Manfred Guenke, dem Geschäftsführer von Sajonia, begrüßt. Wie man an seinem Namen unschwer erkennen kann, geht auch seine Familiengeschichte auf deutsche Einwanderer zurück, die nicht selten eng mit dem Kaffeeanbau und -handel in Nicaragua verbunden sind. Auch der Name des Unternehmens selbst unterstreicht dies: „Sajonia“ bedeutet übersetzt nichts anderes als Sachsen.

Manfred und sein Team haben sich unglaublich viel Zeit für uns genommen. Angefangen mit einem Vortrag und einer Führung über das gesamte Gelände bis hin zu einem fantastischen Cupping.

Manfred schilderte uns zunächst wie der Anbau in Nicaragua verteilt ist, welche Entwicklungen es gibt (wie zum Beispiel den zunehmenden Anbau von Robusta) und vor welchen Herausforderungen sie stehen. Er erklärte, dass 70% der Anbauflächen in den Händen von Kleinbauern und -bäuerinnen liegen und dass eine enge Zusammenarbeit zwischen Exporteuren und Produzierenden sowie faire Preise und Strukturen notwendig sind, um die Qualität hoch zu halten. Wie auch schon bei unserem Aufenthalt auf der Farm hörten wir von den negativen Folgen der Abwanderung und des Klimawandels.

Beim anschließenden Rundgang konnten wir uns ein eigenes Bild von den einzelnen Schritten desTrocknungsprozesses machen und auch erkennen wie stark sich diese unterscheiden können, je nachdem was die Produzierenden bezahlen können und wollen. So kann die Trocknung des Rohkaffees auf ausgelegten Planen, gespannten Netzen oder auch sehr kontrolliert, in geschützten „Hütten“ erfolgen.

Wir hatten auch die Gelegenheit, die Anlieferung der Ernte und die damit verbundene Qualitätssortierung zu beobachten. Dabei werden beim Abladen und Wiegen der Kaffeekirschen oder Bohnen Stichproben genommen und nach Mängeln sortiert. Das alles wird in ein System eingepflegt und steht den Produzierenden zur Verfügung. So können sie den Wert ihrer Ware besser einschätzen. Anschließend besichtigten wir die Hallen, in denen der getrocknete Kaffee maschinell sortiert und für den Export verpackt wird. Beim abschließenden Cupping (Verkostung) konnten wir uns anhand von über 20 Kaffeesorten von der hervorragenden Qualität der Kaffees der Sajonia Estate überzeugen.

Gold Mountain Coffee Growers und Finca Idealista

Der nächste Tag begann, wie der vorhergehende endete: mit einem Cupping im Sajonia Estate. Diesmal ging es aber nicht um die Kaffees von Sajonia, sondern wir durften über 60 Kaffees der Gold Mountain Coffee Growers probieren.
Diese Vereinigung von Kaffeebauern und -bäuerinnen nutzt die Dienste der Sajonia Estate um ihre Kaffees zu trocknen. Ben Weiner, CEO dieser Farming Group und Betreiber seiner eigenen Farm „Finca Idealista“, führte uns zunächst durch das Cupping und anschließend über seine Farm.

Die Präzision und Detailverliebtheit, die Ben bei jedem noch so kleinen Schritt des Anbaus und der Aufbereitung an den Tag legt, ist überwältigend und zeigt, dass er fest von dem Motto der Gold Mountain Coffee Growers überzeugt ist: „Fight Poverty through Quality“. Und um diese Qualität zu sichern bedarf es strenger Kontrollverfahren und vor allem der Schulung der Bauern und Bäuerinnen, die oft gar nicht wissen, welches Potenzial in ihrem Produkt steckt. In Teams gehen die Qualitätsprofis in der Erntesaison auf die Farmen der Mitglieder*innen und helfen den Bauern und Bäuerinnen bei der Ernte. Hierfür wird den Pflücker*innen das Vierfache des üblichen Lohns gezahlt, damit nur die besten Kirschen gepflückt und eine hervorragende Sortierung vorgenommen wird.

Pflücker*innen auf der Finca Idealista

Auch bei der Aufbereitung wird nichts dem Zufall überlassen und alles genau kontrolliert. Darüber hinaus setzen die Gold Mountain Coffee Growers verstärkt auf Fermentationsprozesse wie die „Carbonic Maceration“ und den Einsatz von Weinhefen, um außergewöhnliche Aromen in ihren Kaffees zu fördern. Generell ist die Fermentation ein Thema, das in der Specialty Coffee Szene immer mehr in den Vordergrund rückt und an Bedeutung gewinnt. Vor allem wenn es darum geht, den negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die Kaffeequalität entgegenzuwirken. Auch unsere Gruppe hat sich in einem Experiment mit Fermentationsprozessen beschäftigt (siehe dazu den ersten Beitrag zur Nicaragua Farmtour). Beeindruckend war auch die Führung über die Finca Idealista mit anschließender Verkostung und das Wissen von Ben über jede einzelne Pflanze und Sorte auf seiner Farm.

Ausblick auf die Farm von Plateau

Fincas Mierisch

Am sechsten Tag unserer Tour wurden wir vor unserem Hotel von Erwin Mierisch begrüßt. Die Familie Mierisch besitzt mehrere Farmen in Nicaragua und Honduras und ist in der Kaffeewelt für die hervorragende Qualität ihrer Kaffees bekannt. Neben dem eigenen Anbau engagiert sich vor allem Erwins Vater für den jährlich stattfindenenden Cup of Excellence.

Der Cup of Excellence ist ein Specialty Coffee Wettbewerb, bei dem Produzent*innen ihre Kaffees präsentieren können. Der Cup of Excellence wird nach höchsten Standards durchgeführt und hilft Produzent*innen, mehr Sichtbarkeit zu erlangen und bessere Preise für ihre herausragenden Produkte zu erzielen.

Gemeinsam mit Erwin besuchten wir die Finca Los Placeres. Die Familie baut seit über 100 Jahren Kaffee an und diese Farm ist eine der ältesten. Besonders beeindruckt hat mich die klare Strukturierung der Farm. Alles folgt genauen Überlegungen, welche Pflanzungen agrartechnisch vorteilhaft sind. Die Nachhaltigkeit der Farmen ist für Erwin und seine Familie ein wichtiges Thema. Interessant war es auch, etwas über ihre Arbeit in der Pflanzenzucht zu lernen. Auf der Farm wird vermehrt darauf gesetzt Arabica Pflanzen mit Robusta Wurzeln zu verbinden. Das Wurzelwerk ist resistenter, geschmacklich bleibt das Tassenprofil aber das der Arabicavarietät.

Auch diesen Tag durften wir mit einer Verkostung abschließen. Dafür fuhren wir von der Farm zur Trockenaufbereitungsstation der Mierischs. Neben des Cuppings erwartete uns hier noch etwas anderes: Wir durften den nächsten Schritt in unserem Fermentaionsexperiment machen. Die Tanks mit den von uns gepflückten Kirschen, die wir in der Reserva El Jaguar zurückgelassen hatten, wurden in der Zwischenzeit zu dieser Aufbereitungsstation gebracht. Nach drei Tagen der Fermentation musste nun die Flüssigkeit abgelassen werden, um die Kirschen zu trocknen.

Cupping Mierisch

Letzter Tag – Letzte Tour

Am siebten und letzten Tag hieß es Abschied nehmen. Der Plan war, gemeinsam den Rücktransport nach Managua anzutreten, wo für einen Teil der Gruppe die baldige Rückreise nach Deutschland anstand, während andere ihre individuellen Nicaragua-Touren starten würden. Auch ich hatte mich dazu entschlossen, an die einwöchige Kaffeetour noch eine Rundreise quer durch dieses vielfältige Land anzuhängen.

Ein Programmpunkt stand aber noch aus. In der Woche, die wir bisher in Nicaragua verbracht haben, lag unser thematischer Schwerpunkt ganz klar auf Specialty Coffee und das natürlich auch aus gutem Grund. Durch zwei Teilnehmerinnen des Programms hatten wir aber auch die Möglichkeit, einmal hinter die Vorhänge der industriellen und großen Kaffeeaufbereiter und Exporteure zu schauen. Die Olam Gruppe öffnete und die Türen und nahm uns mit auf eine Tour über ihr Gelände. Vieles was wir dort sahen, ähnelte dem, was wir in den letzten Tagen gesehen und gelernt hatten. Aber hier war alles viel größer! Die Sortieranlagen in den Hallen, die Trocknungsflächen und die Maschinen zum Verpacken des Rohkaffees, alles war überdimensional im Vergleich zu den Aufbereitungsstationen im Specialty Coffee. Es war super interessant, das alles aus der Nähe zu sehen und auch zu sehen wie groß die Qualitätsspanne ist, die ein großer, kommerzieller Produzent anbietet.

Olam Halle

Finales Cupping in Hannover

Unsere gemeinsame Reise in Nicaragua ging nach sieben Tagen zu Ende, aber wir waren noch nicht ganz fertig mit unserem Programm. Zwei Monate später, im April, stand das große Wiedersehen an. Dazu trafen wir uns in der Kaffeeschule von Thomas und Nadine, in Hannover. Nachdem wir in Nicaragua unser eigenes Fermentationsexperiment gestartet hatten, konnten wir nun endlich unsere Ergebnisse verkosten! Thomas und Nadine haben unsere drei unterschiedlich aufbereiteten Kaffees mit nach Deutschland genommen und Thomas hat sie vor unserem Treffen geröstet.
Zur Erinnerung: Wir haben die Kirschen in der Reserva El Jaguar geerntet und nach dem Sortieren auf drei verschiedene Tanks verteilt. Die Tanks wurden zusätzlich zu den Kirschen mit Wasser und jeweils einem anderen „Fermentationsstarter“ befüllt. Die drei Zugaben waren Milchsäurebakterien, Hefe und Kombucha samt Pilz. Das Ganze wurde verschlossen und für drei Tage stehen gelassen. Danach trafen wir die Tanks auf einer Aufbereitungsstation wieder, haben das Wasser abgelassen und legten die unterschiedlich fermentierten Kirschen getrennt voneinander aus. Nach dem Trocknen wurde das Fruchtfleisch entfernt. Als fertig aufbereiteter Roh- bzw. Röstkaffee konnten wir unser Experiment in Hannover beenden. Und das Ergebnis: auf jeden Fall interessant! Die Blindverkostung hat uns gezeigt, wie unterschiedlich die gleichen Bohnen schmecken können. Es war wirklich nicht zu erkennen, dass die Kaffees von ein und derselben Farm stammten und es sich um nur eine Varietät handelte. Zugegeben, der mit Bierhefe fermentierte Kaffee entsprach nicht so meinem Geschmack, aber der Effekt war trotzdem erstaunlich. Gewonnen hat meiner Meinung nach aber der Kaffee der mit Milchsäurebakterien fermentiert wurde. Hier entwickelten sich weiche und fruchtige Aromen, die sich sehr harmonisch zueinander verhielten. Vor allem das samtige Mundgefühl stach hier hervor.

Man darf gespannt sein, welche Rolle der fermentierte Kaffee in Zukunft tatsächlich spielen wird. Grade stehen die Zeichen für diese Herangehensweisen in der Aufbereitung gut. Doch Kaffee hat schon viele neue Entwicklungen und „Trends“ erlebt. Viele davon waren nur von kurzer Dauer. Ich persönlich glaube, dass es mit den Fermentationsprozessen anders sein wird. Hier haben die Produzierenden ein Werkzeug in die Hand bekommen, mit dem es möglich ist, Kaffeekirschen vom selben Strauch unterschiedlich schmecken zu lassen und unterschiedliche Preise nehmen zu können. Und vielleicht bewahrt so etwas auch das spezielle im Specialty Coffee, wenn die Auswirkungen des Klimawandels immer spürbarer werden.

Auch wir bei VAN DYCK werden diese Entwicklung beobachten und hoffen, dass wir bald mehr Bio-zertifizierte, speziell aufbereitete Kaffees finden werden.

Als Fazit zu meiner Zeit in Nicaragua kann ich sagen, dass es unglaublich bereichernd war, diese Tour zu machen. Thomas und Nadine haben ein tolles Programm auf die Beine gestellt und man merkt wie sehr sie sich in dieses Land und seine Menschen verliebt haben. Mein persönliches Highlight waren auf jeden Fall die Tage in der Reserva El Jaguar. Der Regenwald, der Anbau und seine Bedingungen und die Menschen die in diesen abgelegenen Regionen leben und arbeiten, das alles hat einen riesigen Eindruck hinterlassen. Was wir sahen, war nicht nur positiv und Balsam für das Herz eines Kaffeeliebhabers. Die Herausforderungen wie Armut, Klimawandel und Abwanderung hinterlassen deutliche Spuren in den Anbauregionen. Aber es war mindestens genauso wichtig, neben den vielen tollen Eindrücken auch diese Seiten zu sehen. Beide Seiten gehören zur Realität des Kaffeekonsums, die wir hier, in den Kaffeekonsumländern in dieser Deutlichkeit viel zu selten zu sehen bekommen.

Wer also schon länger mit dem Gedanken spielt, an einem solchen Programm teilzunehmen oder gar auf eigene Faust in ein Kaffeeanbauland zu reisen, sollte dies unbedingt tun. Es lohnt sich!

Gruppenfoto Sajonia Estate
Dieser Beitrag wurde verfasst von:
Albina Stamer – Rösterin im Van Dyck