Wenn wir uns hierzulande mit dem Produkt „Kaffee“ beschäftigen, geht es meist um das Rösten oder die Zubereitung. Fragen wie: „Welches Equipment brauche ich“, „Welche Röstungen mag ich?“ und „Worauf muss ich bei der Kaffeezubereitung achten?“ werden oft und gerne diskutiert.
Was jedoch für die meisten Konsument*innen ein großes Mysterium darstellt, ist alles rund um den Ursprung und Anbau. Als Rösterin habe ich zwar einen etwas tieferen Einblick in die Handelskette und die Prozesse, die in den Bereich des Anbaus fallen. Dennoch ist das Bild, das wir uns in den Kaffee konsumierenden Ländern machen, sehr vage und theoretisch.
Umso mehr habe ich mich gefreut, als ich im Februar 2024 die Möglichkeit hatte, in ein Kaffeeanbauland zu reisen und mehr über die Herausforderungen rund um den Kaffeeanbau zu erfahren. Die Reise fand im Rahmen der „Funky Fermentation Farm Tour“ der Kaffeeschule Hannover statt. Unser Ziel: Nicaragua!
Ich hatte Nicaragua eigentlich nicht auf dem Schirm, als Land für eine Kaffeereise. Natürlich wusste ich, dass dort Kaffee angebaut wird und ich habe auch schon öfter Spezialitätenkaffee aus Nicaragua getrunken. Länder wie Honduras, Guatemala und Costa Rica waren mir jedoch viel präsenter, wenn ich an Kaffee aus Zentralamerika dachte.
Der Beginn des Kaffeeanbaus in Nicaragua wird auf das Jahr 1790 datiert, als katholische Missionare nach Nicaragua kamen und Kaffeepflanzen mitbrachten. Es dauerte jedoch einige Jahrzehnte, bis der Kaffeeanbau im Land auf wirtschaftliches Interesse stieß. Mit der steigenden Nachfrage im 19. Jahrhundert wurde das Potenzial erkannt und der Anbau forciert.
Das Jahrhundert zwischen 1840 und 1940 wird als „Kaffeeboom“ bezeichnet, der zu wachsendem Wohlstand führte. Doch wie so oft im Kaffeeanbau, der eng mit der Geschichte des Kolonialismus verbunden ist, blieben die einheimischen Kleinbauern von diesem Wachstum weitgehend ausgeschlossen, während vor allem deutsche und italienische Einwanderer größere Anbauflächen erwerben konnten. Oft wurden die Einheimischen zu Hilfsarbeitern, die unter prekären Bedingungen und für einen Hungerlohn auf den Kaffeeplantagen arbeiteten.
Auch Klimakatastrophen und politische Unruhen sind ständige Begleiter in der Geschichte Nicaraguas und starke Faktoren, die den dortigen Kaffeeanbau beeinflussen. Trotzdem ist der Kaffeeanbau ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die abwechslungsreiche Geographie, die vielen verschiedenen Mikroklimata und die zahlreichen, zum Teil aktiven Vulkane begünstigen die Produktion.
Das Programm
Auf die Idee, nach Nicaragua zu reisen, um mich intensiver mit dem Kaffeeanbau zu beschäftigen, bin ich also nicht von selbst gekommen. Es war ein glücklicher Zufall, dass ich im Rahmen meiner Weiterbildung zur Kaffeesommelière im September 2023 auf die Pläne der Kaffeeschule Hannover gestoßen bin, eine Reise nach Nicaragua zu machen. Nur vier Monate später konnte es losgehen!
Ein ausschlaggebender Grund für mein Interesse an genau dieser Reise teilzunehmen, war das Programm, das Thomas, der Leiter der Kaffeeschule Hannover, und seine Frau Nadine auf die Beine gestellt haben. Neben einem dreitägigen Aufenthalt auf der Reserva El Jaguar (einer Specialty Coffee Farm) standen Besuche bei verschiedenen Aufbereitungsstationen und anderen Produzent*innen, zahlreiche Verkostungen und das Pflücken und Verarbeiten von Kaffeekirschen auf dem Programm.
Als vorweggenommenes Fazit kann ich an dieser Stelle bereits verraten, dass die Reise den hohen Erwartungen mehr als gerecht wurde.
Unsere Gruppe von 10 Teilnehmer*innen, angeführt von Thomas und Nadine, traf sich an einem Hotel in der nicaraguanischen Hauptstadt Managua. Von hier aus sollte die gemeinsame Ursprungsreise starten, mit dem ersten Ziel: Reserva El Jaguar.
Nach einer mehrstündigen, teilweise holprigen Fahrt über mehr oder weniger gut befahrbare Wege erreichten wir am frühen Abend unser Ziel. Schon auf dem Weg dorthin konnten wir beobachten, wie die eher trockene Landschaft rund um die Hauptstadt Managua der grünen, tropischen und beeindruckenden Landschaft der Kaffeeregionen wich. El Jaguar, dieses im Norden gelegene Naturreservat in Privatbesitz, liegt auf einer Höhe von 1300 – 1400 m und hat eine Größe von 178 Hektar. Davon werden „nur“ ca. 50 Hektar für den Kaffeeanbau genutzt. Der Rest soll als möglichst unberührter Nebelwald und Lebensraum, vor allem für die vielen verschiedenen Vogelarten, für die Nicaragua bekannt ist, erhalten bleiben.
Das Reservat wird von Liliana Chavarría und Georges Duriaux sowie ihrem Sohn Jean-Yves Duriaux Chavarría geleitet. Als Ornithologin konzentriert sich Liliana auf die Vogelbeobachtung im Reservat, während Georges sich um die Belange des Kaffeeanbaus kümmert, der zur Erhaltung des Reservats beiträgt.
Nach unserer Ankunft wurden wir freundlich von Oscar und Wilma begrüßt, die uns mit den ersten Informationen und Eindrücken versorgten und für die nächsten Tage unsere Guides sein sollten. Außerdem konnten wir unsere Hütten (Cabanas) mit einem unglaublichen Panoramablick über den Nebelwald beziehen.
Herausforderungen des Kaffeeanbaus
Am zweiten Tag begann das eigentliche Programm. Nach einem landestypischen Frühstück machten wir uns mit Oscar auf den Weg, um die Anbauflächen zu besichtigen. Wir konnten sehen, wie die verschiedenen Sorten getrennt voneinander angebaut werden und Oscar erzählte uns von den vielen Herausforderungen, die der Anbau mit sich bringt.
Das größte Problem auf El Jaguar, wie in ganz Nicaragua, sind die Pilzkrankheiten, die die Kaffeepflanzen befallen. Allen voran der Kaffeerost. Auf El Jaguar werden verschiedene Methoden eingesetzt, um der Ausbreitung entgegenzuwirken. Beispielsweise setzt man die Pflanzen in bestimmten Formationen, um größere Zwischenräume zu schaffen.
Der größte Verbreiter ist jedoch der Mensch, der die Sporen beim Pflücken von Pflanze zu Pflanze überträgt, was eine nachhaltige Bekämpfung erschwert. Oscar erzählte uns aber auch von den Problemen, die durch den Klimawandel und die Abwanderung vieler junger Menschen entstehen. Der Mangel an Arbeitskräften führt dazu, dass viele Kirschen nicht rechtzeitig geerntet werden können, überreif werden und nicht mehr als Specialty Coffee verkauft werden können.