Kaffee und Radsport: Was in Deutschland und Europa eine gängige Kombination ist, wird in den Kaffeeanbauländern erst nach und nach entdeckt. Während hierzulande Fahrradtouren gezielt um Cafés geplant werden, passiert dies in den Ursprungsländern meist nur in größeren Städten. Doch Kolumbien, ein Land mit einer sich stark wandelnden Kaffeekultur, geht mit gutem Beispiel voran. Hier trifft man immer öfter auf die Symbiose von Radfahren und Specialty Coffee. Unsere Gast-Autorin Lisa Picott nimmt euch mit auf eine Reise durch Kolumbien, wo Kaffee und Radsport nicht nur Genuss, sondern auch Identität stiften.
Kaffee und Radsport in Kolumbien
Eine neue Art des Kaffeegenusses
In Kolumbien haben Fahrradtouren eine besondere Note: Sie führen oft an Kaffeefarmen vorbei und enden in kleinen Cafés, in denen die Radfahrer*innen mehr als nur einen Kaffee bekommen. Die Bestellung eines Kaffees wird oft zur Gelegenheit, die Zubereitungsmethoden kennenzulernen, die Herkunft des Kaffees zu entdecken und etwas über die Produzent*innen zu erfahren. Dabei handelt es sich meist um kleine Farmen, deren Besitzer*innen oft persönlich erzählen, wie sie den Kaffee anbauen und welche Herausforderungen sie bewältigen mussten – sei es durch den bewaffneten Konflikt oder durch die anspruchsvollen Anbaubedingungen.

Ein besonderes Highlight: der „tintico“ oder „café campesino“. Dieses traditionelle Kaffeegetränk wird in einem Topf aufgekocht, oft mit Rohrzucker (Panela) und Zimt. Es ist belebend und wird in ländlichen Regionen besonders geschätzt. Hier, wo das Fahrrad nicht nur Sportgerät, sondern auch Alltagsmittel ist, treffen Tradition und Innovation aufeinander.
Ein Dialog über Vergangenheit und Zukunft
Kaffee ist in Kolumbien nicht nur ein Genussmittel, sondern ein kulturelles Bindeglied. Nach Jahren des Konflikts dient er der Identitätsbildung und dem Dialog über eine oft verschwiegene Vergangenheit. Radtouren durch Kaffeeanbaugebiete bringen Menschen zusammen und schaffen Raum für Gespräche. Der Genuss eines einfachen tintico wird so zum Symbol für Gemeinschaft und Tradition.

Meine persönliche Reise nach Kolumbien
Als Kölnerin hatte ich zunächst keine besondere Verbindung zu Kaffee oder Radsport. Aufgewachsen in einer flachen Region, war das Fahrrad für mich lediglich ein praktisches Fortbewegungsmittel. Doch 2011 veränderte ein Auslandssemester in Bogotá alles. Die schlechte Verkehrsinfrastruktur der Stadt brachte mich dazu, auf das Fahrrad umzusteigen, und damit begann meine Reise in eine neue Welt.
Gruppenausfahrten in Bogotá boten eine ganz neue Perspektive auf die Stadt. Abseits der touristischen Pfade entdeckte ich Viertel, die ich sonst nie betreten hätte. Diese Ausfahrten waren mehr als sportliche Events – sie waren get-togethers, die auf soziale Missstände aufmerksam machten. Besonders beeindruckend waren die sogenannten „ciclovías“: Jeden Sonn- und Feiertag werden in Bogotá von 6 bis 14 Uhr große Straßenzüge für den motorisierten Verkehr gesperrt und von Radfahrer*innen und Fußgänger*innen erobert.


Meine Liebe zum Radsport wuchs in Kolumbien stetig. Aus anfänglichen 30 Kilometern wurden schnell 80 oder mehr. Besonders spannend: Gravel-Touren durch abgelegene Gebiete. Anders als in Europa versteht man in Kolumbien unter „Gravel“ oft Straßen mit großen Steinen und Geröll, die mit Fahrrädern ohne Federgabel bewältigt werden.
Parallel dazu entwickelte sich meine Begeisterung für Kaffee. Während ich in Deutschland höchstens den Geruch des Kaffees genoss, entdeckte ich in Kolumbien die Vielfalt dieses Getränks. Die Begegnung mit Kaffeebäuer*innen und die Besuche auf entlegenen Farmen gaben mir ein tieferes Verständnis für die harte Arbeit, die hinter jeder Tasse Kaffee steckt. Hier wurde Kaffee zu einem Symbol für Zusammenhalt, Austausch und kulturelle Identität.

Zurück in Deutschland
Heute, zurück in Deutschland, begleiten mich beide Leidenschaften weiterhin. Mein Gravelbike ist mein ständiger Begleiter, und als Café-Managerin einer Kölner Rösterei spiele ich eine aktive Rolle in der Vermarktung von gutem kolumbianischen Kaffee. Für alle, die Kolumbien besuchen, kann ich nur empfehlen: Macht eine Fahrradtour durch die Großstädte oder besucht die ländlichen Regionen und Kaffeefarmen. Es ist eine einzigartige Möglichkeit, Land, Leute und Traditionen kennenzulernen.
Über die Autorin
Lisa Picott verbindet ihre Leidenschaft für Kaffee, Radsport und Kolumbien mit ihrem beruflichen und persönlichen Alltag. Ihre Arbeit führte sie in entlegene Regionen Kolumbiens, wo sie mehr über Kaffeeanbau und die Lebensrealität der Farmer*innen lernte. Nach ihrer Zeit im Bereich Friedens- und Konfliktforschung sowie nachhaltiger Projektentwicklung ist sie heute als Betriebsleiterin zweier Cafés in Köln tätig. Seit 2023 berät sie das Unternehmen in der Gemeinwohl-Zertifizierung.
